Assistive Technologien für Barrierefreiheit

Hilfstechnologien - wie Menschen mit Behinderung digitale Technik nutzen

Drei der wichtigsten Hilfstechnologien für Barrierefreiheit wollen wir in diesem Beitrag vorstellen.

Darstellung und Zoom

Sehbehinderte haben verschiedene Möglichkeiten, mit einem Computer zu arbeiten. Je nach der Art der Sehbehinderung reichen manchmal kleine Anpassungen an der Darstellung, um das Arbeiten wesentlich zu vereinfachen. 

Alle gängigen Betriebssysteme ermöglichen Anpassungen an individuelle Bedürfnisse. In Windows zum Beispiel kann ein kontrastreiches Farbschema eingestellt werden. Es gibt zudem Darstellungsschemata mit großer Schrift. Aktuelle Windows-Versionen verfügen auch über spezielle Eingabehilfen wie Sprachausgabe oder Vergrößerungsprogramme. Jeder Nutzer kann seinen Browser so einstellen, dass er bestimmte Farben, Schriftarten und Schriftgrößen verwendet und die Layoutvorgaben der jeweiligen Website ignoriert werden.  

Screenshot der Startseite von adesso-mobile.de, wobei ein Ausschnitt leicht vergrößert ist und mit invertierten Farben dargestellt wird

Menschen, die sehr schlecht sehen, verwenden ein Bildschirmvergrößerungsprogramm, englisch Screen Magnifier. Bekannte Produkte für Windows sind etwa Zoomtext oder MAGIc. Mit einem Vergrößerungsprogramm kann der Inhalt des Bildschirms vergrößert werden. Eine Vergrößerung ist bis auf das 64-fache möglich. Das bedeutet, dass ein einzelnes Programmsymbol den gesamten Bildschirm einnimmt. 

Der vergrößerte Ausschnitt wird dann über den Maus-Cursor bewegt. Die Bildschirm-Lupe bietet weitere Möglichkeiten: Sie kann zum Beispiel den Maus-Cursor vergrößern und dessen Position visuell hervorheben. Es können außerdem spezifische Farb-Schemata angewendet werden. Viele sehbehinderte Menschen können Inhalte besser erkennen, wenn sie ihre eigenen Farben für Schrift und Hintergrund einstellen. 

Screenreader

Um einen Computer benutzen zu können, setzen blinde Personen auf ein Bildschirmleseprogramm oder Screenreader. Der Screenreader gibt den Inhalt des Bildschirms als Sprache oder Blindenschrift auf einem Braille-Display aus. Gängige Programme sind Narrator oder NVDA unter Windows, VoiceOver für Mac und iOS oder Talkback für Android. 

Es ist wichtig zu wissen, dass Blinde am Computer immer linear arbeiten müssen. Ein Sehender überblickt den ganzen Bildschirm. Er sieht Menüs, Symbolleisten, Eingabefelder oder Ausklapplisten. Ein Blinder kann wissen, dass all diese Elemente vorhanden sind. Er kann sie aber nicht alle gleichzeitig wahrnehmen, er erkennt nur das Element, das er gerade fokussiert.. Wenn Sie einem Blinden erklären, dass sich ein Element links unten befindet, kann er mit dieser Information nichts anfangen. Er hat nur eingeschränkte Möglichkeiten herauszufinden, was sich an einer bestimmten Position des Bildschirms befindet. 

Der folgende Screenshot zeigt, wie der Screenreader NVDA einen Teil der adesso mobile-Webseite vorlesen würde. Die Stelle, die gerade vorgelesen wird, ist farbig hervorgehoben. Unten rechts im Sprachausgaben-Betrachter wird gezeigt, welche Informationen die Sprachausgabe ausgibt. Sie zeigt nicht nur den visuell sichtbaren Text, sondern weitere Informationen wie die Überschriften-Ebene oder die Zahl der Listen-Elemente, die blinden Menschen bei der Internet-Nutzung helfen. 

Der Screenreader NVDA scannt Teile der adesso mobile-Website und liest diese vor

Das gilt nicht nur für Programme, sondern auch für Webseiten. Was allgemein als Anordnung grafischer Elemente erscheint, ist für blinde Personen eine Abfolge von Einzel-Elementen, die sie nach und nach durchgehen muss. Für den Blinden gibt es nur davor und dahinter, alle anderen Angaben kann er nicht nachvollziehen. 

Geändert hat sich das erst mit den Touchscreens mobiler Endgeräte. Aktuelle Tablet-PCs und Smartphones haben häufig einen Screenreader integriert. Über den Touchscreen können Blinde sozusagen erfühlen, wie die Website auch visuell aufgebaut ist. 

Ein ähnliches Problem haben Sehbehinderte, die mit einer sehr starken Vergrößerung arbeiten. Sie können eine komplette Webseite nicht überblicken und müssen deshalb oft mühsam nach einem Link oder einer Schaltfläche suchen. 

Für Blinde und stark Sehbehinderte gibt es deshalb auch nur zwei mögliche Zustände: Habe ich schon gesehen oder habe ich noch nicht gesehen. Deshalb ist es sinnvoll, sich an gängige Standards bei der Webgestaltung und dem Aufbau der Website zu halten, damit sich die Benutzer leichter orientieren können. Je einfacher das Layout, desto geringer ist die kognitive Belastung. 

Die Basis für die Computerbedienung für Blinde ist die Tastatur. Eine Maus können sie nicht benutzen. Für Blinde ist es deshalb wichtig, dass sie alle Elemente der Webseite über die Tastatur erreichen, ausfüllen, aktivieren oder deaktivieren können. 

Neben der Sprachausgabe ist auch die Blindenschrift eine wichtige Ausgabehilfe. Dabei werden Informationen als Blindenschrift auf einem speziellen Gerät, der Braillezeile, ausgegeben. Der folgende Screenshot zeigt die Brailleausgabe am Beispiel einer Überschrift der Workshop-Seite der adesso mobile: 

Brailleausgabe einer Website-Überschrift

Da Braillezeilen nur zwischen 20 und 80 Zeichen darstellen können, werden Informationen zu UI-Elementen verkürzt dargestellt: Die ersten fünf Zeichen beschreiben das UI-Element, in diesem Fall eine Überschrift Ebene 1, die restlichen Zeichen sind der sichtbare Text der Überschrift.  

Sprachsteuerung

Die Sprachsteuerung hilft vor allem Menschen mit einer Bewegungs-Einschränkung bzw. motorischen Behinderung, den Computer zu steuern. Neben der Steuerung des Computers ist auch das Diktieren von Texten eine wichtige Aufgabe. Beispiele dafür sind Siri unter Mac und iOS, die Windows Sprachsteuerung oder die käuflich zu erwerbende Dragon Spracherkennung. Der folgende Screenshot zeigt einen Teil des Trainingsprogramms für die integrierte Sprachsteuerung von Windows 10. 

Die Einrichtung der integrierten Spracherkennung in Windows 10

Für die Bedienung des Computers gibt es verschiedene Vorgehensweisen. Ist eine GUI grundsätzlich barrierefrei programmiert, können mit festgelegten Sprachbefehlen Menüs aufgerufen oder Texte bearbeitet werden. Um zum Beispiel ein Dokument in Word zu öffnen, könnte der Anwender die folgenden Befehle geben: „Starte Word, öffne Menü Datei, gehe auf Öffnen, öffne Dokument Steuererklärung 2023“. Zum Schreiben von Text könnte er „Diktat Anfang“ und „Diktat Ende“ sagen. Während früher die Software mit der eigenen Stimme trainiert und die Befehle auswendig gelernt werden mussten, geht heute der Trend dank Siri oder Google Assistant hin zur Kommunikation in natürlicher Sprache. Das heißt, es macht keinen Unterschied, ob ich „Öffne Word“ oder „Starte Word“ sage, die Sprachsteuerung führt aus, was ich von ihr möchte. 

Auch bei Webseiten ist eine komfortable Bedienung möglich. Möchte der Benutzer zum Beispiel ein Formular ausfüllen, kann er, nachdem er die Seite mit dem Formular aufgerufen hat, die folgenden Befehle geben: „Gehe zu Eingabefeld Nachname, trage meinen Nachnamen ein“. Das funktioniert allerdings nicht, wenn das Dokument nicht barrierefrei ist: Die Sprachsteuerung weiß dann nicht, welches „Eingabefeld Nachname“ ist und kann dem Nutzer auch keinen passenden Text zum Ausfüllen vorschlagen. 

Eine GUI kann auch über ein Raster bedient werden, das über den Bildschirm gelegt wird. Die einzelnen Punkte auf dem Bildschirm erhalten Koordinaten. Der Mauscursor kann damit an bestimmte Positionen gesteuert werden, um dort Aktionen wie einen Links- oder Rechtsklick auszulösen. Es leuchtet aber schnell ein, dass dies alles andere als komfortabel ist, sobald man mehrere Befehle ausführen möchte. 

Fazit

Heute sind viele assistive Technologien in den Basis-Funktionen bereits in die Betriebssysteme integriert. Bei Mac sowie bei den mobilen Betriebssystemen werden sie hauptsächlich genutzt, weil es wenige bis keine Alternativen gibt, sie aber auch in der Regel gut funktionieren. Unter Windows gibt es alternative Programme, die teils käuflich erworben werden können. Es gibt also verschiedene Screen Magnifier, Screenreader oder Sprachsteuerungen, die je nach spezifischer Behinderung besser funktionieren können oder mehr Anpassungen zulassen. 

Assistive Technologien können auch kombiniert werden. Einige Menschen mit motorischer Behinderung nutzen zum Beispiel parallel Augen- und Sprachsteuerung, weil bestimmte Aufgaben mit dieser Kombination schneller erledigt werden können. Viele sehbehinderte Menschen lassen sich längere Texte am Bildschirm vorlesen, weil das Lesen für sie zu anstrengend ist oder sehr lange dauert. Auch kann zusätzlich spezielle Hardware notwendig sein, zum Beispiel für die Ausgabe in Blindenschrift oder Kameras für die Augensteuerung. 

Es gibt noch einige weitere assistive Technologien in den Betriebssystemen. Werfen Sie gerne einmal einen Blick in die Einstellungen Ihres Computers oder Smartphones. Dort finden Sie Funktionen wie die Schalter-Steuerung oder die Echtzeit-Umwandlung gesprochener Sprache in Text für schwerhörige oder gehörlose Menschen. 

Auch wenn sich die assistiven Technologien ständig weiterentwickeln, sind sie dennoch davon abhängig, dass Anwendungen barrierefrei programmiert wurden. Unbeschriftete UI-Elemente, geringe Kontraste oder komplexe Touch-Gesten können auch die fortschrittlichste Technologie ins Stolpern bringen. Viele ältere Menschen wissen zum Beispiel nicht, dass es diese Möglichkeiten gibt und nutzen nur den Zoom-Möglichkeiten des Browsers. Deswegen ist es so wichtig, dass Web-Anwendungen von Anfang an barrierefrei entwickelt werden. 

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